Beschneidung bei Jungen und Kleinkindern

16.06.2025

Kaum ein Thema in der Urologie und Andrologie wird so kontrovers und emotional diskutiert wie die Beschneidung. Die Debatte dreht sich um die Entfernung der Vorhaut („Präputium“), die im schlaffen Zustand die Eichel („Glans“) des Penis gänzlich umhüllt und sich bei einer Erektion nach hinten zurückzieht.

In diesem Beitrag soll daher etwas Licht ins Dunkel gebracht und Fakten von Mythen getrennt werden, um Ihnen eine fundierte Grundlage für eine der persönlichsten Entscheidungen bieten, die Eltern für ihren Sohn oder ein Mann für sich selbst treffen können.

Kulturelle Wurzeln: Mehr als nur ein Eingriff

Die Zirkumzision gehört zu den weltweit am häufigsten durchgeführten Operationen. Für Milliarden an Menschen ist sie dabei keine primär medizinische, sondern primär eine tief verwurzelte kulturelle und religiöse Praxis. Bekannt sind heute vor allem die jüdischen und muslimischen Traditionen:

  • Brit Mila (ברית מילה): Im Judentum ist die Beschneidung ein zentrales religiöses Gebot. Sie wird traditionell am achten Lebenstag eines neugeborenen Jungen durch einen sogenannten Mohel durchgeführt. Dieser Eingriff ist hochritualisiert und symbolisiert für gläubige Juden den Bund zwischen Gott und dem jüdischen Volk.
  • Chitan / Khitan (ختان): In vielen islamischen Kulturen erfolgt die Beschneidung ebenfalls im Kindesalter – das Alter variiert jedoch regional stark, von wenigen Tagen bis zum Jugendalter. Auch hier steht die religiöse Reinheit im Vordergrund, medizinische und hygienische Gründe werden oft ergänzend angeführt.

Diese Praktiken sind Ausdruck von Identität und Glauben und sollten mit Respekt betrachtet werden, unabhängig von der medizinischen Debatte.

Vor allem in Nordamerika Buben beschnitten, weil das als hygienischer galt. Über die Zeit hat sich der beschnittene Penis dann in vielen westlichen Ländern auch als Schönheitsideal durchgesetzt.

Scheindiagnose Phimose als häufigster „medizinischer“ Grund für Beschneidungen von Jungen

Bei uns in Europa ist der wohl am häufigsten genannte Grund für eine Beschneidung im Kindesalter aber das Vorliegen einer Phimose, also einer Vorhautverengung. Lässt sich die Vorhaut bei ihrem Kleinkind nicht zurückziehen sind viele Eltern verunsichert.

Jedoch handelt es sich hier in den meisten Fällen um einen ganz normalen Entwicklungszustand: Denn bei fast allen neugeborenen Jungen ist die Vorhaut mit der Eichel verklebt (Konglutination) und die Vorhautöffnung noch sehr eng, sodass sich die Vorhaut eben sich nicht zurückziehen lässt.

Diese physiologische Phimose ist kein krankhafter Zustand, sondern ein evolutionsgeschichtlicher Schutzmechanismus, da die Vorhaut die empfindliche Eichel und die Öffnung der Harnröhre vor Reibung, Austrocknung und Infektionen schützt. Im Laufe der ersten Lebensjahre löst sich diese Verklebung der Vorhaut dann in den meisten Fällen ganz von selbst.

Wichtig: Versuchen Sie niemals, die Vorhaut ihres Kindes gewaltsam zurückzuziehen! Dies kann zu kleinen Rissen, Narbenbildung und damit erst recht zu einer krankhaften, pathologischen Phimose führen

Viele Jahre wurde eine falsche Studie des britischen Kinderarztes Douglas Gairdner aus dem Jahr 1948 herangezogen, die besagten, dass die Vorhaut von Jungen spätestens bis zum 5. Lebensjahr zurückziehbar sein müsse, was in den folgenden Jahrzehnten zu zahlreichen Fehldiagnosen pathologischer Phimosen führte. Neuere Studien zeigen, dass circa die Hälfte aller Jungen im Aller von 10 Jahren Ihre Vorhaut nicht vollständig zurückziehen können und sich eine physiologische Phimose tatsächlich bis in die Pubertät halten kann, ohne krankhaft zu sein.

Wann muss eine Phimose behandelt werden?

Eine Behandlung einer zu engen Vorhaut ist nur dann erforderlich, wenn die Phimose sich auch in der Pubertät nicht zurückgebildet hat, die Symptomatik erst im Laufe des Lebens auftritt und/oder Probleme verursacht.

Solche Probleme umfassen etwa:

  • Balanitis & Balanoposthitis: Wiederkehrende Entzündungen von Eichel oder der Vorhaut selbst
  • Schmerzhafte Erektion: Wenn die Vorhaut eine Erektion ohne Schmerzen nicht zulässt
  • Sekundäre Phimose: Wenn die Phimose pathologisch, also krankhaft, wird und sich ein unelastischer, narbiger Ring ausbildet.
  • Lichen sclerosus: Chronische Hauterkrankung vor allem im Genitalbereich
  • Schmerzen bei Urinieren: Wenn es zu schmerzhaften Urinstau kommt bei dem sich die Vorhaut bläht („Ballonierung“).

Wenn sich die Vorhaut auch im schlaffen Zustand des Penis nicht über die Eichel zurückziehen lässt, spricht man von einer vollständigen oder absoluten Phimose. Im Gegensatz dazu bereitet das Zurückziehen bei einer unvollständigen oder relativen Phimose nur bei erigiertem Penis Schwierigkeiten.

Konservative Behandlung oder Beschneidung?

Wenn eine krankhafte Phimose vorliegt und behandelt werden muss, war der Griff zum Skalpell lange Zeit die gängige Therapie. Eine Beschneidung als Behandlungsansatz für Vorhautverengung lässt sich heute jedoch oft vermeiden. Man bevorzugt in der modernen Medizin eine Phimose konservativ zu behandeln.

Etwa durch:

  • Topische Salbentherapie: Über einen Zeitraum von vier bis acht Wochen wird eine kortisonhaltige Salbe auf die Vorhautspitze aufgetragen. Diese macht die Haut elastischer und dehnbarer
  • Sanftes Dehnen: Begleitend zur Salbentherapie wird die Vorhaut vorsichtig und schmerzfrei gedehnt.
  • Lösen von Verklebungen durch vorsichtiges Verschieben der Vorhaut.

Die Erfolgsraten dieser Methoden sind exzellent und liegen bei über 80%. Sie ist schmerzfrei, vermeidet die Risiken einer Operation und erhält die Vorhaut in ihrer Gänze.

Falls die Vorhaut nicht schmerzfrei über die Eichel zurückgezogen werden kann oder während einer Erektion starke Schmerzen empfinden, besprechen Sie die Problematik mit einem Urologen.

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Operative Behandlung durch eine Beschneidung

Gleichzeitig hat die operative Behandlung einer Phimose nach wie vor auch ihre Daseins-Berechtigung.

  • Zirkumzision: Die klassische Beschneidung, bei der die Vorhaut ganz oder teilweise entfernt wird und die Eichel anschließend frei liegt.
  • Präputioplastik: Als Alternative zur herkömmlichen Beschneidung gibt es Ansätze zu einer vorhauterhaltenen Operation. Diese Techniken sind aber recht komplex, sodass sie nur von sehr wenigen Ärzten durchgeführt werden.

Die Zirkumzision kann dabei mit verschiedenen Techniken durchgeführt werden: Neben dem klassischen Schnitt mit dem Skalpell, gibt es verschiedene Klemm- und Schnürtechniken (z.B. Gomco oder Plastibell) bis hin zur Beschneidung mit einem medizinischen Laser.

Die Debatte: Beschneidung Pro & Contra

Abseits klar medizinischer Beschneidungen gibt es vor allem rund um routinemäßig durchgeführte Beschneidung von Säuglingen, Kleinkindern und Jungen eine intensive Debatte.

Kritiker argumentieren dabei vor allem, dass Kinder eben nicht einwilligungsfähig sind, und eine Zirkumzision ohne medizinische Notwendigkeit entsprechend das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit verletze und der Eingriff daher dem Kindeswohl entgegenstehe.
Dazu wird meist das Argument genannt, dass die Entfernung der Vorhaut die Empfindsamkeit der Eichel beeinträchtigt, was später ein erfülltes Sexualleben erschweren würde. Auch psychosexuelle Folgen werden mitunter angeführt.

Verfechter von Beschneidungen nennen auf der einen Seite die oben genannten kulturellen und religiösen Traditionen und die soziale Komponente des „Dazugehörens“. Dazu wird auch angeführt, dass durch eine Zirkumzision die Intim-Hygiene leichter fällt, was das Risiko bestimmter Infektionen senkt. Verschiedene Studien deuten hier tatsächlich auf ein geringeres Risiko für Harnwegsinfekte sowie für einige sexuell übertragbare Krankheiten (STIs) wie HIV, HPV und Herpes hin.

Aus rein fachlicher Sicht bleibt hier feststellen, dass ohne klare medizinische Indikation die Entscheidung für eine Beschneidung eine sehr persönliche ist, die Eltern nach wie vor vor allem aus sozialen, kulturellen und religiösen Gründen treffen (müssen).

Späte Entscheidung zur Beschneidung im Erwachsenenalter

Eine ganz andere Sache ist es natürlich bei Männern, die sich erst als Erwachsene für eine Beschneidung entscheiden. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Neben medizinischen Gründen, wie einer erworbenen Phimose oder wiederkehrende Entzündungen, spielen hier durchaus auch persönliche Wünsche eine Rolle.

Vor allem das ästhetische Erscheinungsbild des Penis spielt für viele Männer eine große Rolle. Mitunter auch durch den leichten Zugang zu Pornographie, wo 99% der männlichen Darsteller beschnitten sind, empfinden manche Männer das beschnittene Glied als die Norm und verspüren den Wunsch das eigene Körperbild dieser Norm anzupassen.
Ein Mann, der sich aus rein ästhetischen Gründen für eine Beschneidung entscheidet, weil er sich mit dem Aussehen wohler, selbstbewusster oder „sauberer“ fühlt, trifft daher eine autonome Entscheidung.

Fazit

Die Beschneidung ist ein mitunter kontroverses Thema. Sie berührt Religion, Kultur, Ethik und Medizin. Während bei der physiologischen Phimose im Kindesalter Geduld und konservative Methoden klar im Vordergrund stehen sollten, ist die Entscheidung bei nicht-medizinischen Gründen eine zutiefst persönliche. Bei Erwachsenen aber ist eine solche Zirkumzision ein Akt individueller Selbstbestimmung.

Wenn Sie Fragen haben oder eine persönliche Beratung wünschen – sei es für Ihren Buben oder für sich selbst –, zögern Sie nicht, einen Termin zu vereinbaren.
Eine offene und ehrliche Aufklärung ist der Schlüssel zu einer Entscheidung, mit der Sie sich langfristig wohlfühlen.

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Quellen

  • S2k-Leitlinie Phimose und Paraphimose bei Kindern und Jugendlichen, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendchirurgie e.V. (DGKJCH) https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/006-052
  • Gairdner D (1949).“The fate of the foreskin.“, Brit Med J2: 1433-7, https://www.cirp.org/library/general/gairdner/.
  • Denniston GC, Hill G. Gairdner was wrong. Can Fam Physician. 2010 Oct;56(10):986-7. PMID: 20944034; PMCID: PMC2954072.
    https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC2954072/
  • Seidenberg M, Nolte J, Azad M, et. al.: Entwicklung der Vorhaut, https://flexikon.doccheck.com/de/Entwicklung_der_Vorhaut
Dr. med. Franklin Kuehhas

Über den Autor

Dr. med. Franklin Kuehhas Dr. Kuehhas ist Facharzt für Urologie und Andrologie. Er durchlief seine Ausbildung und Spezialisierung an den Medizinischen Universitätskliniken in Heidelberg und Wien sowie am University College London. Dort erwarb er auch seine Spezialisierung im Bereich der rekonstruktiven Andrologie. Zu den Schwerpunkten von Dr. Kuehhas zählen die Behandlung der Induratio penis plastica, der angeborenen Penisverkrümmung, die Implantation einer Penisprothese und auch die ästhetische Genitalchirurgie beim Mann.